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André Fasolin ist von  Rändern umrandet:  geografisch und beruflich.
       Esther Maag begibt sich an den Rand des Möglichen, Andi Schmid sind sie,
       die  Ränder, Hindernis. Ruth Schweizer wird an den Rand gedrängt,

       weil sie anders ist – und Memyan, weil sie ihre Heimat verlassen musste.

       Von  Menschen, die sich am Rand bewegen. Texte: Lucas Huber; Bilder: Jen Ries




       Es ist stickig in Memyans Zimmer,      drei Geschwister flohen vor dem Krieg,   Flüchtlings camp, wo ihre Eltern noch
       Etagenbett, Früchte liegen auf dem     dem sogenannten Islamischen Staat,     immer harren, im Asylheim am Benz-
       Tisch, dazwischen ein Tischtuch aus    den Bomben und Gewehrsalven. Vier      burweg in Liestal und eigentlich mitten
       Plastik, Blumenmuster, der Wasser-     von unzähligen, die sich in ein Leben    unter uns – und doch nur am Rand.
       kocher blubbert, Deutsch-Englisch-     in der Fremde schicken, um dem Tod
       Wörterbuch, Schmerztabletten. Denn     zu entrinnen.                          Langeweile am Ortsrand
       Memyan, die 29 ist und eigentlich anders      Allerdings kann die Familie keine   Denn nicht nur liegt das Asylheim am
       heisst, hat Zahnschmerzen. Doch das    Flucht im Schlauchboot übers Mittel-   Rand der Stadt und dazu noch versteckt
       ist nicht ihr grösstes Problem.        meer vorweisen, keinen Fussmarsch      und eingeklemmt zwischen einem Indus-
           Lächelnd sitzt sie am Tisch, lockiges   durch halb Europa. Memyan und ihre   triegebäude, einem Glaubenshaus und
       Haar, heller Teint, Jeans, T-Shirt:    Geschwister, von denen sie die älteste   einem begrünten Erdwall, der die Aus-
       Memyan stammt aus dem äussersten       ist, kamen im Flugzeug in die Schweiz.   sicht auf den Himmel versperrt. Memy-
       Nordosten Syriens, Bezirk Rumaylan.    Über ihren Onkel, der bereits in der   an, die ironischerweise Sozialwissen-
       Frau Hassan übersetzt, was sie auf     Schweiz lebte, haben sie um ein huma-  schaften studierte, und ihre 44 Mitbe-
       Kumci, weitverbreitetste kurdische     nitäres Visum ersucht – und auch       wohner aus dem Irak und China, aus
       Unterart, sagt, dazwischen deutsche    erhalten. Nun leben sie, nach sechs    Afghanistan, Eritrea und dem Iran leben
       Brocken, etwas Englisch. Sie und ihre   Monaten in einem türkischen           auch gesellschaftlich am Rand.



























                                                                                     Am Rand der Stadt, versteckt zwischen
                                                                                     einem Industriegebäude, einem Glaubens-
                                                                                     haus und einem Erdwall: Im Liestaler
                                                                                     Asylheim lebt Memyan, Sozialwissenschafte-
                                                                                     rin aus Syrien.

       – 14 –  LiMa März – April 2016
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