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AM RAND
Nicht nur sie träumt von der eigenen lich, Sprungbrett. Am liebsten würde mahlt er dann in der eigenen Trommel-
Wohnung. Und einem Job, vielleicht sie ohnehin zurückkehren, nach Hause mühle zu feinem Mehl, bis zu zehn
sogar ihrem erlernten. Eines Tages. – obschon sie die Schweiz liebt, Zutaten umfassen seine Rezepte, Hup-
Dafür muss sie Deutsch lernen. Ihre die Landschaft und die Ordnung, die pererde aus Lausen, Opalinuston aus
vorläufige Aufnahme, Ausländerausweis Sicherheit und, womöglich, eines Tages Seewen, Aargauer Rheinsand. Gemischt
F, erhielt sie aber erst vor ein paar gar die Menschen. Doch lieber ist ihr ein mit Asche vom Kirschbaum etwa
Wochen, wie so viele mit ihr. Und ohne Leben am Rand als eins in ständiger entstehen daraus seine Chawans.
vorläufige Aufnahme keine vom Staat Gefahr. Das sind traditionelle japanische
finanzierten integrationsfördernden Teegefässe, getöpferte Kunstwerke in
Massnahmen. Ein Teufelskreis, aus dem Ton und Stein als Leidenschaft erdigen Farben, jedes so einzigartig,
sie ausbricht, sobald das Aufgebot für Im Stotzigen, am Rand des Begehbaren, wie die Zeremonie mit ihm Ritual ist.
den ersten Kurs eintrifft. Und das sollte dort, wo sich sonst kaum je ein Mensch Man muss schon bis Japan gehen, an
bald so weit sein. Memyan kann es kaum aufhält, blüht André Fasolin regelrecht den Rand der Welt quasi, um einen zu
erwarten: als gut ausgebildete Frau auf. Am Rand von Steinbrüchen und finden, der diese ursprüngliche Kunst
kämpft sie zunehmend mit Langeweile Tongruben, Waldrändern, in alten des Keramik-Handwerks noch so be-
am Ortsrand. Bergwerkstollen, kurz: im Unzugäng- herrscht. Oder eben in die Schweiz, nach
Kontakt zu Schweizern hat sie lichen. Dort rammt er Schaufel, Spaten Ziefen, zu André Fasolin. In Europa ist
bislang kaum: «Wer sollte uns hier denn und Hacke in den Untergrund, um ihm er, keramisch betrachtet, eine Rander-
auch besuchen? Ich verstehe das schon.» abzuringen, was er für sein Handwerk scheinung, da ist er sich ziemlich sicher.
Sie meint: Das Asylheim ist kein Ort, braucht: Stein und Ton.
an dem man sich gern freiwillig aufhält. «Alles hat einen Schmelzpunkt», Unterwegs auf ungepfadeten
Aber es ist ihr Unterkunft und, hoffent- sagt Fasolin, 52, der eigentlich Lehrer Wegen
ist, vor allem aber Keramiker. Kunst- Lehrbücher nützten wenig; kein Kera-
keramiker. Stein, etwa der Prättigauer miker hat je hiesige Rohstoffe verarbei-
Wer André Fasolins Ausstellungsraum
besucht, taucht in eine stimmungsvolle Welt Schiefer, mit dem er gern arbeitet, tet, weshalb er sich sein Können im
von Erdmaterialien und Farben ein. schmilzt bei 1’280 Grad Celsius. Den Selbststudium während über 20 Jahren
LiMa Mai – Juni 2016 – 15 –