Page 21 - LiMa September/Oktober 2016
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EINKAUFSERLEBNIS
           «In diesem Stadium ist der Wein wie ein
              Kleinkind»: Thomas Engel (l.), Keller-
            meister bei Siebedupf und Stellvertreter
                              Lukas  Wiedmer.




       tief im Wasser watend. «Höhlen üben
       einen ganz speziellen Zauber auf mich
       aus», gesteht er.

       Der Engel im Keller
       Auch ein Engel hält sich gelegentlich
       unter Tag auf. Dieser heisst Thomas, ist
       Kellermeister beim grössten Weinprodu-
       zenten im Kanton und begibt sich täglich
       in Lebensgefahr. Das könnte man
       zumindest glauben, sieht man das Schild
       am Kellereingang, das einen vor Ersti-
       ckungsgefahr warnt. Es ist Mitte Okto-
       ber, und im Untergrund der Kellerei
       Siebe-Dupf an der Liestaler Kasernen-
       strasse gären über 100’000 Liter Wein,   schnuppert, nickt, geht weiter. «Wein ist   Wellness vielleicht – und mittendrin der
       Kerner, Blanc de Noir, Blauburgunder.  in diesem Stadium wie ein Kleinkind: Er   Engel mit seinem blonden Haar,
           Die Gärgase treten über Schläuche   braucht ständige Obhut.» Sagt Engel.   ihm zur Seite Lukas Wiedmer, stellvertre-
       aus den Tanks – und die sind schwerer   Das gilt auch spätabends. Dann macht er   tender Kellermeister. Gerade spülen die
       als Luft. Darum summt unentwegt die    einen letzten Rundgang; «wenn es nicht   beiden ein Eichenfass aus, Wasser
       Entlüftung, darum arbeitet Thomas      allen Weinen gut ginge, fände ich keinen   spritzt, Engel lacht.
       Engel in diesen Tagen vor allem mit der   Schlaf.»
       Nase. Schon wenn er am Eingang zu          Es ist die strengste Zeit im Jahr von   Triefend vor Wein wie ein
       seinem Keller steht und die Nase in die   Thomas Engel, Arbeitstage bis ein Uhr     begossener Pudel
       Luft hält, riecht er, ob es der emsig   nachts sind nicht selten. Und er verbringt   Vergangene Nacht, es war kurz nach
       arbeitenden Hefe in einem seiner Tanks   sie unter Tag, um ihn Barrique-Fässer   Mitternacht, spritzte Wein – präziser:
       an Nahrung fehlt, sich etwas Trübes,   und Chromstahltanks, Pumpen und die    schäumte. Engel hatte Mineralsalze
       Unerwünschtes in die Luft mischt.      Schläuche, die die Gärgase in wasserge-  in einen Tank gegeben, in dem eine
           Er geht von Schlauch zu Schlauch,   füllte Eimer lenken, schliesslich ihr   besonders gefrässige Hefeart Traubensaft
       immer wieder, den ganzen Tag über,     Blubbern, das an Grotte erinnert, an   in Wein verwandelt, oben auf dem



       Ein gelbes Schild an der Keller türe warnt vor Erstickungsgefahr (links).
       Die Gärgase treten über Schläuche aus den Tanks und werden in wassergefüllte
       Eimer gelenkt (Mitte).





















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