Page 27 - LiMa 49
P. 27
Tito, Impeccable, Hot Chocolate (v.l.) und
weitere Kleckenberg-Pensionäre werden
ebenfalls von Miroslaw betreut.
es geht. Und der jüngeren Tochter gibt er dass er das Land verlassen würde. «Das er überhaupt die Möglichkeit hat,
fast täglich Nachhilfe in Mathematik. hat weh getan, denn ich bin Lehrer mit anderswo das Geld für die Ausbildung
Sein Blick hellt sich auf, als er sagt, dass Leib und Seele; es ist mein Traumberuf.» seiner Kinder zu verdienen.
er so doch noch irgendwie Lehrer sei. Die Entscheidung, Heimat und Familie
Dann trübt sich seine Miene. Von zu verlassen, war schwierig und
einem Stich ins Herz erzählt er. Den schmerzhaft, es war ein gemeinsamer
hätten ihm die Überredungsversuche Entschluss der Familie, Cielepała bereut
seiner polnischen Schüler versetzt, als er es nicht und die Kinder sind dankbar.
ihnen vor bald drei Jahren eröffnet hat, Dankbar ist er selbst auch: Dafür, dass
Berufe, Berufe, Berufe
Galvaniker, Juristen, Parkplatzkontrolleure – und den Ziegelbrenner
gibt es nicht mehr. Genauso wenig wie den Beruf fürs Leben.
Das duale Bildungssystem der Schweiz ist ein fast einmaliges mit Sanitär- und Elektroinstallateuren, Detailhandelsangestell-
Erfolgsrezept, allein in Deutschland wird ähnlich ausgebildet. ten, Bauern im Allgemeinen und Kaffeebauern im Speziellen,
Der Rest der Welt kennt die berufliche Grundbildung nicht. Feinmechanikern, Netzwerktechnikern, Bekleidungsgestal-
In der Schweiz traten jährlich knapp 80’000 neue Auszu- tern, Nähern und vielen mehr zu tun.
bildende eine Lehrstelle an, über 230’000 werden derzeit Ob sie ihre Berufe bis ins Rentenalter ausüben werden?
in einem von hunderten von Berufen ausgebildet. Geschenkt. Seit ich 15 bin, habe allein ich in fünf verschie-
Darunter sind angehende Paartanzlehrer und Skibauer, denen Berufsfeldern gearbeitet. Als 15-Jähriger hatte ich
Galvaniker und Juwelenfasser, Heizöl-Tankrevisoren und meinen ersten Brotjob – als Kontrolleur des Sole-Uno-Park-
Croupiers, Human Präparatoren und Klärwerkfachmänner. platzes in Rheinfelden, das damals noch Kurzentrum hiess.
Es gibt so endlose Berufsbezeichnungen wie «Industrie- und Um mir den Führerschein zu verdienen, füllte ich in der
Unterlagenbodenbau-Polier mit eidgenössischem Fachausweis Migros Regale auf, arbeitete als Ferienjobber bei einem
im Berufsfeld Verkehrswegbau» oder «Fachexperte für Landschaftsgärtner, später als Vollzeitberufstätiger im
Infektionsprävention im Gesundheitswesen mit eidgenös- kaufmännischen Bereich eines Verlags, heute als Journalist,
sischem Diplom». Redaktor, Ghostwriter.
Wenn ich meinen Freundeskreis durchleuchte, stosse ich Der Schutzpatron meiner Berufsgilde ist Franz von Sales.
auf Umweltingenieure und Maler, auf Turnlehrer und Psycho- Jener der Wachszieher Ambrosius, jener der Ziegelbrenner
logen, auf Molekularbiologen und Speditionssachbearbeiter, Petrus – doch diese Berufe gibt es nicht mehr. Genauso
Sportwissenschaftler, Juristen, Erziehungsberater und wenig wie den Schweinehirten. Zumindest nicht in unseren
Sportartikelverkäufer. Ich habe täglich, direkt oder indirekt, Gefilden. Was das Ganze gehörig relativiert.
LiMa Januar– Februar 2016 – 27 –