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Tito, Impeccable, Hot Chocolate (v.l.) und
             weitere Kleckenberg-Pensionäre werden
                   ebenfalls von Miroslaw betreut.























       es geht. Und der jüngeren Tochter gibt er   dass er das Land verlassen würde. «Das   er überhaupt die Möglichkeit hat,
       fast täglich Nachhilfe in Mathematik.   hat weh getan, denn ich bin Lehrer mit   anderswo das Geld für die Ausbildung
       Sein Blick hellt sich auf, als er sagt, dass   Leib und Seele; es ist mein Traumberuf.»  seiner Kinder zu verdienen.
       er so doch noch irgendwie Lehrer sei.  Die Entscheidung, Heimat und Familie
           Dann trübt sich seine Miene. Von   zu verlassen, war schwierig und
       einem Stich ins Herz erzählt er. Den   schmerzhaft, es war ein gemeinsamer
       hätten ihm die Überredungsversuche     Entschluss der Familie, Cielepała bereut
       seiner polnischen Schüler versetzt, als er   es nicht und die Kinder sind dankbar.
       ihnen vor bald drei Jahren eröffnet hat,   Dankbar ist er selbst auch: Dafür, dass




       Berufe, Berufe, Berufe


       Galvaniker, Juristen, Parkplatzkontrolleure – und den Ziegelbrenner
       gibt es nicht mehr. Genauso wenig wie den Beruf fürs Leben.

       Das duale Bildungssystem der Schweiz ist ein fast einmaliges   mit Sanitär- und Elektroinstallateuren, Detailhandelsangestell-
       Erfolgsrezept, allein in Deutschland wird ähnlich ausgebildet.   ten, Bauern im Allgemeinen und Kaffeebauern im Speziellen,
       Der Rest der Welt kennt die berufliche Grundbildung nicht.    Feinmechanikern, Netzwerktechnikern, Bekleidungsgestal-
       In der Schweiz traten jährlich knapp 80’000 neue Auszu-    tern, Nähern und vielen mehr zu tun.
       bildende eine Lehrstelle an, über 230’000 werden derzeit       Ob sie ihre Berufe bis ins Rentenalter ausüben werden?
       in einem von hunderten von Berufen ausgebildet.            Geschenkt. Seit ich 15 bin, habe allein ich in fünf verschie-
           Darunter sind angehende Paartanzlehrer und Skibauer,   denen Berufsfeldern gearbeitet. Als 15-Jähriger hatte ich
       Galvaniker und Juwelenfasser, Heizöl-Tankrevisoren und     meinen ersten Brotjob – als Kontrolleur des Sole-Uno-Park-
       Croupiers, Human Präparatoren und Klärwerkfachmänner.      platzes in Rheinfelden, das damals noch Kurzentrum hiess.
       Es gibt so endlose Berufsbezeichnungen wie «Industrie- und   Um mir den Führerschein zu verdienen, füllte ich in der
       Unterlagenbodenbau-Polier mit eidgenössischem Fachausweis   Migros Regale auf, arbeitete als Ferienjobber bei einem
       im Berufsfeld Verkehrswegbau» oder «Fachexperte für        Landschaftsgärtner, später als Vollzeitberufstätiger im
       Infektionsprävention im Gesundheitswesen mit eidgenös-     kaufmännischen Bereich eines Verlags, heute als Journalist,
       sischem Diplom».                                           Redaktor, Ghostwriter.
           Wenn ich meinen Freundeskreis durchleuchte, stosse ich      Der Schutzpatron meiner Berufsgilde ist Franz von Sales.
       auf Umweltingenieure und Maler, auf Turnlehrer und Psycho-  Jener der Wachszieher Ambrosius, jener der Ziegelbrenner
       logen, auf Molekularbiologen und Speditionssachbearbeiter,   Petrus – doch diese Berufe gibt es nicht mehr. Genauso
       Sportwissenschaftler, Juristen, Erziehungsberater und      wenig wie den Schweinehirten. Zumindest nicht in unseren
       Sportartikelverkäufer. Ich habe täglich, direkt oder indirekt,   Gefilden. Was das Ganze gehörig relativiert.


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