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An seinem Elternhaus an der Kasernenstrasse prangt noch heute das Schild «Holinger Grabmal-, Stein- und Bildhauer».
       Der Grabsteinverkauf brachte Jürg Holinger mit vielen Familien zusammen.



       will dereinst unter den Baum kommen        Er erhielt dabei Einblick in Fami-     Jürg Holinger erinnert sich an den
       – in seinem eigenen Friedwald, in dem   lienzwiste und Erbstreitigkeiten, in   Schmerz, der auch ihn übermannte,
       bereits sein Sohn die ewige Ruhe       tragische Dynamiken. Er erinnert sich    wenn trauernde Eltern den Grabstein
       gefunden hat.                          an Fälle, in denen der Grabstein nicht   für ihr Kind bestellten. Und an die
                                              teuer genug sein konnte. Er erkannte   eigene Ratlosigkeit, als sein Vater,
       Der schmale Grat                       schnell: Hier wollte jemand gutmachen,   lebenslanger Grabsteinverkäufer, tödlich
       Auch Jürg Holinger kennt sich mit      was zu Lebzeiten verpasst wurde. Einst   verunfallte: «Wir hatten keine Ahnung,
       Grabsteinen aus. Der 70-jährige Liestaler   bestellte eine Frau einen Grabstein für   was für einen Stein er sich gewünscht
       führte bis zu seiner Pensionierung das   ihren Mann und bestand darauf, auch   hätte», erinnert er sich. Darum hat Jürg
       Familien-Natursteingeschäft in dritter   ihren eigenen Namen einzugravieren,   Holinger für den eigenen Todesfall
       Generation. Grabsteine gehörten stets   nur ohne Sterbedatum halt. Aber       vorgesorgt, ein Dokument mit dem Titel
       zum Sortiment, nahmen aber mit der     sie heiratete wieder – und der in Stein   «Wenn mir etwas passiert» wartet auf
       Zeit an Bedeutung ab. Die Bestattungs-  gehauene Name stimmte nicht mehr.     seine Bestimmung.
       Standards wandeln sich.
           Jürg Holinger beschreibt den
         Grabsteinverkauf als recht zwiespältiges
       Geschäft. Die Kluft zwischen dem
       eigenen wirtschaftlichen Bedürfnis,
       verkaufen zu wollen und letztlich zu
       müssen, und dem Kunden, der in tiefster
       Trauer ist, ist gross. «Es ist ein schmaler
       Grat», sagt er. Jürg erlebte viel in
       seinen 30 Jahren in der Firma. Besonders
       die Gespräche mit den Hinterblie benen
       bleiben ihm in Erinnerung, die emotio-
       nale Intimität, die im Gespräch mit
       Fremden entstand.


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