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EINKAUFSERLEBNIS



































       Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein gewöhnlicher Wald. Nur ein diskretes Schild weist darauf hin, dass man den
       Friedwald betritt, und hier und dort haben Hinterbliebene ein Zeichen an einem Baum angebracht.



       Überhaupt geschehe das Gärtnern auf    weitaus mehr Alternativen zur Ver-
       dem Gottesacker in einer ganz speziellen   fügung als der klassische Gottesacker
       Atmosphäre.                            im Schatten des Kirchturms. In der
           Sobald die Beisetzung vorüber ist   Schweiz können Angehörige die Asche
       und die Trauergemeinde Sarg oder Urne   eines Verstorbenen Bergen, Wäldern
       ins Grab herabgelassen hat, schreitet    oder Flüssen übergeben – oder dem
       der Gärtner zur Tat, möglichst schnell,   eigenen Garten. Das lockt viele Deutsche
       sagt er, solle das Grab geschlossen    an; in ihrer Heimat gilt Friedhofspflicht.
       werden. Und weil der Sarg relativ schnell      Auch Friedwälder wie jener in
       ver rottet und die Erde sich zudem senkt,   Nuglar-St. Pantaleon erfreuen sich wach-
       schüttet er das Grab um sicher einen   sender Beliebtheit. Die meisten kaufen
       halben Meter Erde überhöht auf.        sich ihren Baum bereits zu Lebzeiten.
           Seit 26 Jahren gräbt Christian     Ihre Asche wird zu dessen Wurzeln
       Tanner Ramlinsburgs Gräber. Vor        vergraben, symbolisch nimmt so der
       Aussergewöhnlichem wurde er, gottlob,   Baum die Nährstoffe des Ver storbenen
       verschont. Immer wieder hört man von   auf, der Mensch nährt den Baum, wird
       aufgespiessten Schädeln auf Bagger-    zu Gehölz und wächst gen Himmel.
       schaufeln, versehentlich zertrümmerten      Bis ins Jahr 2102 garantiert die
       Skeletten; Christian Tanner kann von   Betreibergesellschaft, die FriedWald
       nichts Ähnlichem berichten. Bis auf dies   GmbH, die rund 60 Friedwälder in der
       eine Mal, als er in tiefstem Winter bei   ganzen Eidgenossenschaft betreibt, dass
       gefrorenem Boden grub, «das war eine   die befriedete Parzelle nicht gerodet
       Riesenbüez», erinnert er sich.         wird. Deren Gründer und Leiter ist Ueli
                                              Sauter, 74-jähriger Thurgauer, der Zeit
       Zur ewigen Ruhe                        seines Lebens mit dem Sterben zu tun
       Jede Gemeinde hat ihren Friedhof.      hatte: Sein Vater verkaufte Grabsteine,
       Doch für Bestattungen stehen heute     sein Bruder behaute sie. Auch er selbst


                                                                                             LiMa November–Dezember 2015  – 23 –
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