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AUFGEF ALLEN
Gärtner Christian Tanner gräbt die Gräber, wenn in Ramlinsburg jemand verstorben ist. Särge kommen nur mehr selten
unter die Erde. Die meisten Angehörigen wählen die Einäscherung.
besohlen, Tage vor seinem Tod verkün- sich hunderte von Bildern und Holz- pragmatisch: «Die Bilder bestehen
dete er, man möge ihm helfen, sie ihm zu schnitten. Einfach so aufgeben könnte weiter, die Beschenkten freuen sich,
schnüren, für ihn sei hier keine Bleibe. er sie nicht, «dafür hängt zu viel Herz- mir gibt es ein gutes Gefühl – und es
Den Tod kommen sehen oder spüren, blut in ihnen; dafür sind sie zu sehr schafft Luft.»
gibt es das? Die Meinungen gehen wie eigene Kinder.»
auseinander. Einen beträchtlichen Teil hat er Was für ein Knochenjob
darum bereits bei seinem Sohn einge- Von der Luft in die Erde, das ist
Tabula Rasa zu Lebzeiten lagert. Und dann hat er sich für zwei Christian Tanners Aufgabe. Der Inhaber
Mit der eigenen Vergänglichkeit jeden- ungewöhnliche Wege entschieden. Zum der gleichnamigen Gärtnerei gräbt
falls setzt sich Ruedi Pfirter auseinander. einen recycelt er Bilder. Anstatt neue die Gräber, wenn in Ramlinsburg eine
Der Kunstmaler wird kommendes Jahr Leinwände anzuschaffen, übermalt er Bestattung ansteht. Urnen werden in
80, das löse, sagt er, vieles aus. Ruedi bereits bemalte. So entstehen aus seiner rund 60 Zentimeter Tiefe gebettet, Särge
Pfirter ist leistungsfähig, es fehlt ihm an Serie von «Abfallbildern» neue Werke in 1,80 Meter. Letztere kommen heut-
nichts, doch eines Tages wird das nicht mit Naturmotiven, bei denen Teile der zutage aber lediglich nur mehr selten
mehr so sein, «ob das nun noch zwei früheren Gestaltung überdauern. Ähn- unter die Erde; die Einäscherung, erst
Tage bis dahin dauert oder 20 Jahre.» liches macht er mit seinen Holzschnitten. seit 1963 von der Katholischen Kirche
Angst oder Trauer verspürt er keine, Die Wirkung, die er so erzielt, verblüfft. gestattet, ist die beliebteste Form der
wenn er an den Tod denkt. «Wenn Der andere Weg: Ruedi Pfirter, 79, Bestattung
man 80 ist und auf ein erfülltes Leben verschenkt Bilder. Über eine umfassende Rund eineinhalb Tage brauchen
zurückblicken kann, braucht man weder Auswahl hat sich die Schweizerische Christian Tanner oder seine Mitarbeiter
Angst noch Trauer zu fürchten», sagt Nationalbibliothek in Bern gefreut, «was fürs Ausheben und Befestigen, fürs
er: «Wenn ich geholt werde, hätte ich mich schon etwas stolz macht», sagt er Ausschmücken mit Weisstannenzweigen
keinerlei Grund, enttäuscht zu sein; schmunzelnd. Andere Schenkungen und schliesslich fürs Zudecken des
eher dankbar.» hängen in Altersheimen in der Region, Grabes. Dafür fährt er mit seinem
Doch eine Sache ist da noch – neben die Gemeinde Hölstein hat eine Reihe Bagger vor. Sein erstes Grab hatte er
all den Menschen um ihn herum: sein seiner Bilder erhalten – und natürlich noch mit der Schaufel ausgehoben; «was
Werk. In Ruedi Pfirters Atelier stapeln Private. Ruedi sieht das durch und durch für ein Knochenjob», erinnert er sich.
– 22 – LiMa November–Dezember 2015